McFadyen, Cody-Rezension - eBook

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McFadyen, Cody-Rezension

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Barrett 1 Die Blutlinie


Vor einem halben Jahr wurde Smoky Barretts Mann in der gemeinsamen Wohnung von einem Psychopathen gefoltert und getötet. Auch Tochter Alexa starb bei diesem Übergriff in dessen Verlauf Smoky den Täter letztlich erschießen konnte. Seitdem hat sich Smoky völlig von der Außenwelt isoliert und lediglich eine Behandlung bei dem FBI-Therapeuten Dr. Hillstead angenommen. Jetzt, sechs Monate später, kommt der Tag der Entscheidung:

   »Der Tag, an dem ich entscheide, ob ich wieder zu meiner Arbeit beim FBI zurückkehre oder ob ich nach Hause gehe, mir eine Pistole in den Mund stecke und mir das Gehirn wegblase.«

Smoky entscheidet sich, ihre alten Kollegen vom CASMIRC in Los Angeles zu besuchen, eine Spezialtruppe, die sich mit Kindesentführungen und Serienmorden beschäftigt und deren ehemalige Chefin Smoky war. In der darauf folgenden Nacht wird Smoky um fünf Uhr morgens von Callie, die ihre Nachfolge übernommen hat, aus dem Schlaf gerissen. Smokys beste Freundin Annie wurde brutal gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Damit nicht genug, die zehnjährige Tochter, Smokys Patenkind Bonnie, wurde an die tote Mutter gefesselt und ist seitdem katatonisch. Der Mörder hat zudem eine persönliche Nachricht an Smoky hinterlassen, in der er sich als direkter Nachfahre von Jack the Ripper ausgibt. War dies der wahre Grund, warum er Annie auserwählte, da diese im Internet eine Softpornoseite betrieb oder wurde Annie ausgewählt, weil der Mörder es in Wirklichkeit auf Smoky abgesehen hat? Wenig später entdecken die Ermittler eine CD, auf der der Mord an Annie festgehalten wurde. Entsetzt müssen die FBI-Profis dabei feststellen, dass zwei Täter am Werk waren. Die Zeit drängt, denn der Irre ist bereit, erneut zuzuschlagen und nähert sich dabei nicht zur Smoky, sondern dringt auch in das Leben der übrigen CASMIRC-Kollegen ein und beginnt sein perfides Spiel …

Die Blutlinie rockt

...könnte man sagen, denn Cody McFadyen ist mit seinem Debüt ein hervorragender Plot zum Thema Serienkiller gelungen. Dabei möchte man zunächst meinen, dass dieses Genre gänzlich ausgelutscht ist, angesichts der inflationär steigenden Zahl von Thrillern aus diesem Bereich. McFadyen erfindet zwar nicht das Genre neu, dennoch setzt er neue Maßstäbe.

Ganz selten wurde so intensiv und eindringlich die Arbeit eines Profilers geschildert, der auf den »schwarzen Zug« aufspringt und sich durch die einzelnen Wagen bis zur Lok vorarbeitet, wo der Lokführer, der Täter, zu finden ist. Ähnlich authentisch, wenngleich im Plot nicht vergleichbar, wird die Arbeit eines Profilers nur in Das Lied der Sirenen von Val McDermid beleuchtet.

Ebenfalls neue Maßstäbe setzt der junge Autor in der Darstellung der einzelnen Misshandlungen. Was hier dem Leser allerdings zugemutet wird, geht nicht nur hart an die Schmerzgrenze, sondern eindeutig darüber hinaus und ist teilweise schlichtweg ekelhaft. Wer einen empfindlichen Magen hat sollte dieses Buch vorsorglich nicht lesen, denn Die Blutlinie ist mitunter ganz, ganz harte Thrillerkost. Sie sind jedenfalls gewarnt! Um die Brutalität der Folterszenen abzuschwächen, bedient sich McFadyen des Stilmittels des Tempobruches. So befindet sich Smoky zunächst rund 40 Seiten in Behandlung ihres Therapeuten, bevor die eigentliche Story überhaupt losgeht. Diese plätschert scheinbar sanft dahin, nur, um im nächsten Moment Smoky bzw. dem Leser frontal in die Eingeweide zu fahren.

Sehr wohltuend ist es dann, dass sich Smoky immer wieder über längere Passagen an ihren Mann und ihre Tochter erinnert, mit diesen bisweilen auch Zwiegespräche führt, oder anderen Gedanken aus der Vergangenheit nachhängt. Und dann wird auch schon gleich wieder das Messer gewetzt oder der Baseballschläger geschwungen. Hervorragend versteht es der Autor sich in die Gedanken seiner Protagonistin hineinzuversetzen, so dass der Verdacht aufkommt, dieses Buch kann nur eine Frau geschrieben haben. Nur ganz selten überzieht McFadyen ins (weiblich) klischeehafte.

»Jack the Ripper« findet einmal mehr seinen Inspector Abberline.

Der Plot ist spannend, der Schreibstil trotz einiger kleiner Längen absolut treibend und die Ermittler und deren Umfeld werden mit viel Liebe zum Detail mit Leben gefüllt. Hohe Atmosphäre garantiert. Lediglich die Auflösung ist allzu vorhersehbar. Dies schadet jedoch dem insgesamt überzeugenden Gesamteindruck nur begrenzt, da McFadyen mutig das Serienkiller-Genre weiterentwickelt. Der angesprochene Jack the Ripper findet übrigens in Smoky seinen Inspector Abberline, der (die) vielleicht ein paar Schicksalsschläge zu viel einstecken muss.

Abschließend sei noch erwähnt, dass Cody McFadyen eine nicht unaktuelle Frage thematisiert, nämlich jene, inwieweit das Internet und die dort zugänglichen Seiten (hier pornografische bzw. Gewalt darstellende) dazu geeignet sind, bei dem Betrachter Phantasie und Realität zu vermischen. Besteht die Möglichkeit, dass ein Mann mit Problemen im Umgang mit Frauen nach Ansicht entsprechender Seiten dazu neigt, seine Abneigung in pure Gewalt umzusetzen und – vor allem – können davon andere Menschen profitieren?

Eine bedrohliche Frage auf die McFadyen eine klare Antwort gibt. Diese ist verstörend, so wie mehrere Sequenzen in diesem Buch.



Barrett 2 Der Todeskünstler


Soll bloß niemand behaupten, man hätte ihn nicht gewarnt! Todeskünstler heißt kein Roman übers lustige Sonntagnachmittag-Picknicken mit Oma Trudi. »Smoky Barrett«, so der etwas sonderliche Name unserer Heldin, klingt auch nicht wirklich nach der älteren Schwester von Hanni und Nanni. Und eigentlich gab ja bereits Cody Mcfadyens Erstling Die Blutlinie die Pace vor. Klar: Auch die Herren der Schöpfung lassen Menschen aufschlitzen, ausbluten, ausweiden und weiß der Teufel was noch alles. Nur lesen muss das nun wirklich keiner.

Verlieren wir ganz kurz ein paar Worte zur Story. Der »Todeskünstler« hat es auf die 16-jährige Sarah abgesehen. Aber nur indirekt: Er tötet und lässt töten, alles, was dem Mädel lieb ist. Sie lässt er am Leben, will aus ihr ein Kunstwerk kreieren, »Das zerstörte Leben«. »Live and let die« irgendwie wie im 21. Jahrhundert. Nur dämlicher.

Auf die Schliche des Todeskünstlers soll Smoky Barrett und ihr Team kommen, alles Asse auf ihrem Gebiet und alle schrecklich langweilig. Jede CSI-Folge ist besser durchdesignt, was die Figurenzeichnung angeht. Wunderbarste Gutmenschen hier, die Bitterbösen da.

Smoky selbst musste schon dermaßen viel mitmachen, dass die Überzeichnung ihres Charakters schon skurrile bis unfreiwillig komische Züge annimmt. Nicht nur, dass sie vergewaltigt worden und seitdem eine Gesichtshälfte entstellt ist. Nein, ein Serienkiller hat vor ihren Augen ihren Mann und ihre Tochter recht unhöflich in die ewigen Jagdgründe geschickt. Aufopferungsvoll tut Smoky das, was einer amerikanischen Elite-Agentin gut zu Gesicht steht: Sie nimmt mit der kleinen Bonnie eine Ziehtochter auf, die, seitdem ein Killer ihre Eltern ebenfalls über den Jordan schickte und sie selbst tagelang gefesselt an ihre tote Mutter lag, im Sinne des Wortes sprachlos ist. Tja, so ist L.A. nach Mr. Mcfadyen heutzutage. Geht´s noch?

Über fast 600 Seiten nervt uns der Autor so mit Ermittlungen zum Miträtseln (dem Leser traut er bei seinem Erzähltempo nicht sonderlich viel Grips zu) und dem Tagebuch der geschundenen Sarah, in der es so ziemlich an keiner Perversität mangelt. Das Schlimme daran: Der Thrill bei Mcfadyen ist nicht kühl, hintergründig, subtil. Sondern ganz derbe, ganz anschaulich-blöde, ausgezeichnet mit der Feinsinnigkeit einer Massenkarambolage auf der A3. Wieviele Morde Sarah mit ansehen musste, wie oft sie missbraucht wurde und was noch so alles Widerwärtiges passiert – man will das gar nicht mehr mitzählen. Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen, Folter, Zwang zum Selbstmord, Zwang zum Mord – darf´s noch 200 Gramm mehr sein? Die Blutwurst haben wir gerade im Angebot. Geht´s noch?

Und als ob dies alles noch nicht reichte, Ihrem Rezensenten die Sprache zu verschlagen, ist genau jene es, die ihm den Rest gibt. Wenn Zigaretten »kirschrot« glühen (S. 20, okay: die Amis sind beim Nichtrauchen eh rigoroser, da verhaut man sich mit Farben und Früchten mal ganz schnell). Wenn von Smokys Freundin Callie die Rede ist und ihrer »Bereitwiliigkeit Spaß zu haben« (»Unschuldig nach den niedrig hängenden Früchten der Freude zu greifen«, S. 33). Wenn Sex nicht nur über zwei Seiten plattgelabert, sondern auch noch in der Sintflut endet (»eine Gezeitenwoge, die über mir zusammenschlägt, mich ertränkt und beim Zurückfluten die Leichen ins Meer nimmt«, S. 144). Geht´s noch?

Nein. Geht gar nicht. Plakative, bluttriefende Gewaltorgien, nicht die Spur von Suspense, kitschiger Gefühlsplüsch, Charaktere ohne jegliche Schattierungen und das Ganze in einem Stil, für den jeder Studi in »Creative Writing« eins übergezogen bekäme. Der knappe Zwanni für den Todeskünstler wäre besser angelegt in Hochprozentigem. In solchem, der übelst auf den Magen schlägt. Der Brechreiz wäre zwar der selbe, der Rausch bis dahin aber sicherlich der bessere Zeitvertreib im Vergleich zur Lektüre dieses Trashs-Thrillers. Ex und hopp.  



Barrett 3 Das Böse in uns


Eigentlich ist Smoky Barrett für den Großraum Los Angeles zuständig, doch auf persönlichen Wunsch des FBI-Direktors soll sie nun mit ihrem Team einen Fall im fernen Virginia aufklären. Lisa, eine junge Frau, wurde ermordet. Nicht weiter dramatisch denkt sich Smoky, wäre Lisa nicht in einem Flugzeug in 10.000 Meter Höhe erstochen worden. Zudem heißt Lisa eigentlich Dexter und ist die Tochter bzw. der Sohn des designierten US-Präsidenten. Ein transsexuelles Kind aber, man denke nur an die konservativen Wähler, könnte die Chancen auf dessen Wahlsieg gefährden und so ist besonders gegenüber der Presse absolute Sensibilität gefordert. In Lisas Körper findet sich bei der Obduktion ein Silberkreuz, auf dem ein Totenschädel und die Zahl 143 eingraviert sind.

   Wie jeder richtige Cop behielt ich alles für mich und wandte mich an den gleichen Therapeuten, den auch mein Vater in Zeiten der Not aufgesucht hatte, Dr. Johnnie Walker.
   Dr. Walker hatte immer Sprechstunde, konnte ein Geheimnis für sich behalten und ging sauber runter.

Smokys Team ermittelt den vermeintlichen Sitznachbar auf Lisas Flug und findet diesen ermordet in seiner Wohnung vor. Während noch gerätselt wird, ob der Mord an Lisa einen politischen Hintergrund haben könnte, ergibt eine VICAP-Abfrage, dass offenbar ein Serienmörder am Werk ist. Ein weiterer Mord führt die Ermittler zurück nach L.A., wo ebenfalls eine junge Frau auf die gleiche Weise ermordet wurde. Auch ihr wurde ein Silberkreuz eingeführt, die eingravierte Zahl lautet 142. Sollte der Mörder schon über 140 Menschen getötet haben? Die Zeit drängt, denn der Mörder kündigt bereits an ein Kind umzubringen, wenn es den Ermittlern nicht gelingen sollte, ihn vorher zu fassen. Auch der Druck der Öffentlichkeit nimmt zu, denn der Täter, der sich selbst »Der Prediger« nennt, hat seine Opfer aufgenommen und stellt seine Filme auf einer bekannten Internetseite ein. Alle Opfer hatten ein furchtbares Geheimnis und der Prediger sieht seine Aufgabe darin, sie von ihrer Sünde zu erlösen …

McFadyen entwickelt sich mehr und mehr zum Meister der Superlativen

Das Böse in uns ist bereits der dritte Band mit der Ich-Erzählerin und Protagonistin Smoky Barrett, Amerikas bester Profilerin. An ihrer Seite steht ihr bereits bekanntes Team, welches nicht immer menschlich miteinander harmoniert. Während beim Debütroman Blutlinie noch herausgestellt wurde, wie übermenschlich genial alle Ermittler sind und bei der Darstellung der Morde metertief im Blut gebadet wurde, nimmt sich McFadyen hier auffallend zurück. Die Figuren werden zwar nach wie vor sehr hölzern dargestellt, aber immerhin wird ihr aufgeblasener Super-Super-Star-Status nicht mehr so deutlich hervorgehoben. Dies ist schon deshalb zu begrüßen, da die »Experten« im vorliegenden Fall fast gar nichts auf die Reihe bekommen. Kein Wunder, denn ihr Gegner ist (natürlich) ebenfalls perfekt und hinterlässt daher überhaupt keine Spuren. Nicht ein noch so kleines Haarpartikel ist beispielsweise auf dem Flugzeugsitz zu finden. Erstaunlich! Apropos erstaunlich: Die bisherigen Gewaltorgien fehlen fast völlig und die im Internet zu sehenden Videos enden immer vor dem Tötungsakt. Stattdessen werden die erschütternden Geheimnisse der Frauen aufgedeckt, bei der eine Beichte schockierender als die nächste ist. Doch der Reihe nach …

Der vermeintliche Tiefgang der Story ist nur oberflächlich vorhanden

Zu Beginn mag man im ersten Moment einen Polit-Thriller erwarten, der sich aufgrund der Ausgangssituation ja durchaus spannend entwickeln könnte. Kaum ist der Schreck vorbei, denn einen gut geplotteten Polit-Thriller traut man dem Autor nun wirklich nicht zu, folgt eine längere Betrachtung des Themas Transsexualität. Wie sich Dexter zu Lisa entwickelte und welch schlimme Zeit dies für ihn/sie bedeutete, ist durchaus gelungen dargestellt. Allerdings stellt sich sogleich die Frage, warum seitenlang dieses Thema vertiefend beleuchtet wird, wenn es direkt anschließend in der Versenkung verschwindet? Auch die eingangs geschilderte politische Situation für Lisas/Dexters Vater, findet im weiteren Verlauf der Handlung keinerlei Erwähnung mehr. Das Ganze wirkt aufgesetzt, so als wolle man eine Tiefenwirkung erzeugen, die sich jedoch bei näherer Betrachtung recht schnell als oberflächliche Luftblase entlarvt.

Stattdessen kommen jetzt McFadyens eigentliche Stärken zum Tragen. Zum einen die recht detailverliebte Darstellung der Ermittlungsarbeit sowie das Schaffen von immer größer werdenden Superlativen. Die Geheimnisse und Lebensläufe der ermordeten Frauen übertreffen sich ins Endlose, die Ermittlerinnen sind, von der im Gesicht entstellten Smoky abgesehen, eine schöner als die andere und so weiter und so fort. Wie oft kam eigentlich das böse F-Wort in all seinen Facetten vor?

Ganz schwaches Ende, aber immerhin ist Smokys schockierende Vergangenheit noch steigerungsfähig

Seltsam, bei aller erdenklichen Mühe bei den Ermittlungen, finden die Profis, immerhin die besten Ermittler die das Land zu bieten hat, keine verwertbaren Spuren. Bedauerlicherweise erhält somit auch der Leser keine Hinweise auf einen möglichen Verdächtigen und kann daher dem Täter ebenso wenig auf die Spur kommen wie Smoky Barrett. Diese musste vor einigen Jahren zusehen wie ihr Mann ermordet wurde. Bei dem Versuch, den Täter zu erschießen, tötete sie stattdessen jedoch versehentlich ihre zwölfjährige Tochter und so sollte man ja eigentlich meinen, schlimmer geht’s nicht. Doch, zumindest wenn der Autor McFadyen heißt. Da geht immer was.

Das Buch ist eine grundsätzlich gelungene Mischung aus Ermittlungsarbeit und der Darstellung der neuen Fälle, wobei diese in erster Linie die im Internet zu sehenden Videos sind. So weit so gut, zumindest für all diejenigen, die den Schreibstil des Autors schätzen. Fans von Karin Slaughter und Co. aufgepasst! Doch dann kommt das Ende und da gibt der Autor (schon wieder) nicht sein Bestes. Da der Täter keine Spuren hinterlässt folgt zwangsläufig ein deus ex machina-Effekt (diabolus ex machina wäre hier natürlich passender), was viele Leser/innen verärgern dürfte. Und als wäre dies nicht schon schlimm genug, darf man sich am Ende seitenlang mit der religiösen Motivation des Täters – daher »Prediger« – auseinandersetzen. Das Themenfeld Sünde und Vergebung wird extensiv breit getreten, allerdings aus der Sichtweise eines irren Psychopathen, dessen eigenes Geheimnis noch einmal dem Ganzen die Krone aufsetzt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Sünde/Vergebung wird so leider vermieden. Da war er wieder, der angebliche Tiefgang, der sich einmal mehr als Blendrakete entpuppt.

Wer es gerne temporeich und oberflächlich hat, darf hier zugreifen und kurzweilige Unterhaltung erwarten. Frei nach dem Motto: Popcorn rein, Hirn aus.



Der Menschenmacher


Cody McFadyen kann man getrost zu den Shooting Stars in der aktuellen Thriller-Szene zählen. Alle vier Romane seiner Smoky-Barrett-Reihe tummelten sich besonders im letzten Jahr unter den Top-Ten verschiedenster Bestseller-Listen. Die Begeisterung über McFadyens (Über-) Heldin Smoky Barrett schlug gerade bei jüngeren Lesern so hohe Wellen, wie sie sonst höchstens Popidolen entgegen gebracht wird. Ein bisschen von ihrem Glamour-Glanz fällt auch auf den Autor zurück, der gerne mal als »genialster« oder »brillantester« Autor abgefeiert wird. Es ist kein Geheimnis, dass viele andere Leser und Kritiker diese Einschätzung nicht teilen.

Als im vergangenen Spätherbst für Februar 2011 ein »neuer Cody McFadyen« angekündigt wurde, begann das große Rätselraten in der Fangemeinde, ob in Der Menschenmacher »Everybody´s Darling« nun mitspielt oder nicht. Die Informationen waren erst spärlich, da The Innocent Bone, so der amerikanische Titel, noch nicht in den USA erschienen war und noch immer nicht erschienen ist, so dass man sich schon fragen kann, welche Gründe das haben mag.

Nun, Cody McFadyen gönnt seiner beliebten Protagonistin eine Babypause und setzt sie nicht eines schmachvollen Auftritts aus, wie das Kollegin Gerritsen mit ihrer Heldin Jane Rizzoli machte. Wie sieht nun das McFadyen-Universum ohne Smoky Barrett aus?

Der Menschenmacher ist ein in sich abgeschlossener Roman, der ganz ohne Ermittlungen im eigentlichen Sinn auskommt. Die Gegenwartsgeschichte ist eine Schnitzeljagd bzw. ein Wettkampf um Leben und Tod, den die drei Hauptfiguren aufgezwungen bekommen. In ausführlichen Rückblenden wird die Vorgeschichte der drei aufgerollt. Allison, Charlie und David waren Waisenkinder aus ärmlichen Verhältnissen, als sie von Streifenpolizist Bob Gray adoptiert wurden, und damit begann für sie eine Zeit unglaublicher physischer und psychischer Misshandlungen, die sie nur mit einem mutigen Schnitt beenden konnten.

Die Eingangsszene des Romans gehört zu den beliebtesten in der Thrillerbranche: Zwei maskierte Männer entführen eine junge bildhübsche Frau aus ihrem Schlafzimmer. Ein Satz im Sinne von: »Noch ein Wort, und ich schneid dir eine Titte ab und stopf sie dir ins Maul« sagt unmissverständlich, wo der Hammer hängt. Der Prolog bleibt erstmal ein Amuse-Gueule für den Thrillerfan, denn McFadyen geht daraufhin weit zurück in der Zeit und erzählt von Davids glücklichen, unbeschwerten Kindertagen. Ein rührseliges Episödchen nach dem Motto:

   Wir waren arm, ach so arm, dass wir das Lametta für den Weihnachtsbaum aus Zeitungspapier schnippeln mussten.


Vielleicht hat der Autor nur Pech, dass gerade dieses Beispiel in Deutschland als Witz kursiert. In seiner Biographie schreibt er, dass er diese weihnachtliche Begebenheit selbst erlebt habe. Wie dem auch sei, dieses kleine Stück »heile Welt« bleibt der einzige Lichtpunkt in dem nun folgenden Szenario aus sich immer weiter fortsetzender Gewalt.

Aus den misshandelten Kindern sind Erwachsene geworden, die die Ereignisse von damals unterschiedlich verarbeitet haben. David hat als Krimiautor reüssiert und später dann die gemeinnützige Stiftung »Innocence Foundation« ins Leben gerufen, eine Institution, die sich präventiv und nachsorgend um bedrohte oder misshandelte Kinder kümmert. Der Haken an der Sache ist, dass David insgeheim die Aufgabenstellung der Stiftung über einen legitimen Rahmen hinaus erweitert hat. Charlie, Davids Bruder im Schmerz, hat als ehemaliger Angehöriger einer US-Spezialtruppe die Aufgabe übernommen, Pädophile, Pornographen, Zuhälter und ihre Zuarbeiter zu liquidieren. Dass es dabei auch zu Kollateralschäden kommt, nimmt er billigend in Kauf. Sein unverarbeiteter Hass, der von den Misshandlungen durch den Adoptivvater herrührt, lässt ihn zur brutalen Killermaschine mutieren.

Allison, die Dritte im Bunde, hatte es auf die legale Seite des Gesetzes verschlagen. Als Angehörige des FBI jagte sie hartnäckig Serienmörder, bis sie von den geheimen Machenschaften ihrer Brüder erfuhr. Ihr Gewissenskonflikt, einerseits Polizeibeamtin zu sein und andererseits von den Taten ihrer Brüder zu wissen, ließ sie den Polizeidienst quittieren.

Eines Tages bekommen alle drei jeweils ein Päckchen zugestellt, dessen Inhalt sie veranlasst, sich wieder zu treffen, und zwar an dem Ort, an dem alles begann.

Cody McFadyen hat sich eines ernsten Themas angenommen, des Kindesmissbrauchs. Sein Roman beginnt mit der Widmung: »Für alle mutterlosen Kinder« und endet u.a. mit dem Satz:

   Er träumte … von einer Welt, in der alle Kinder in Sicherheit waren und alle Mütter am Leben.


Auch der amerikanische Titel The Innocent Bone, metaphorisch übersetzt der Unschuldsknochen, weist in Richtung der Opfer – ein imaginärer Knochen, der die physische und psychische Unversehrtheit eines Kindes schützen soll.

Überraschenderweise stehen dann die Opfer bei McFadyen gar nicht im Vordergrund. Er konzentriert sich mehr auf den/die Täter, sucht nach deren Motiven und versucht deren offensichtlichen Sadismus mit einem philosophischen oder religiösen Mäntelchen zu verbrämen. Ausführlichst bemüht er Friedrich Nietzsche und dessen Thesen zum »Übermenschen«, um Bob Grays grausamen Erziehungsmethoden einen Hintergrund zu verschaffen. Nur greift McFadyen sich die Aspekte aus Nietzsches Theorie heraus, die in sein Konzept passen; andere übersieht er geflissentlich. Wenn nicht andere plakative Gründe bei der deutschen Titelgebung eine Rolle gespielt haben, geht der Titel Der Menschenmacher auf eine falsche Interpretation von Nietzsches »Übermensch«-Thesen zurück, zumal hier kein Macher, sondern ein Zerstörer am Werke ist. Auch die später ins Spiel kommenden religiösen Fundamentalisten sind keine verwirrten Glaubenskrieger, sondern einfach nur psychisch kranke Menschen.

Der ganze Aufwand, den McFadyen hier treibt, um seinem Roman einen intellektuellen Anstrich zu geben, führt sich selbst ad absurdum und wäre verzichtbar gewesen. Er transferiert die verübten Gräueltaten ins Abstrakte, so dass der Leser keine empathische Verbindung zu den Opfern entwickeln kann. Dass das Thema Kindesmissbrauch keines monströsen Hilfskronstrukts bedarf, zeigt Jack Ketchum in seinem Meisterwerk Evil.

Wenn es Cody McFadyens Ansinnen war, eine Verbindung zwischen seinen trashigen Thrillern und einem anspruchsvolleren gesellschaftskritischen Roman herzustellen, kann man es nur als misslungen bewerten.

Was macht ein jugendlicher Thrillerfan, der beim Namen Cody McFadyen auf knallharte Action setzt, wenn er sich mit philosophischen Traktaten, Zitaten von Bertrand Russell und einem ellenlangen Brief an Ernest Hemingway konfrontiert sieht? Er ärgert sich, wie es schon in vielen Kommentaren anklingt.

Ein »anderer« McFayden, wie es auch zu lesen ist, findet vielleicht ein neues Publikum, Doch das muss sich dann mit McFadyens expliziten Gewaltdarstellungen auseinandersetzen, obwohl der Autor sich im Vergleich zu seinen früheren Werken merklich zurückhält, doch ohne Ekelszenen – besonders im bluttriefenden Finale – geht es nicht.

Wer wie McFadyen zwischen zwei Polen pendelt, erreicht nicht zwangsläufig die Mitte, höchstens das Mittelmaß. Ein »Stand-Alone« außerhalb einer erfolgreichen Reihe birgt sowohl Risiko als auch Chance. Die Gefahr, das Stammpublikum zu vergrätzen, ist groß. Serien-Liebhaber möchten Kontinuität in Machart, Thematik und Personal, auch wenn nur ein Aufguss eines Aufgusses dabei herauskommt. Neuerungen stehen sie wenig offen gegenüber.

Um eine neue Leserschaft zu erschließen, bedarf es aber eines radikalen Schnitts mit der Vergangenheit und den hat Cody McFadyen nicht gewagt. Die eigenen Konventionen müssen aufgebrochen werden, sonst kann man es gleich sein lassen.

Atomuhr - Kalender
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