Edwardson, Ake-Rezension
Erik Winter 01 Tanz mit dem Engel
London. Ein Hotelzimmer. Ein schwedischer Junge sitzt auf einem Hocker. Gefesselt. Geknebelt. Und das zweischneidige Messer des Unholds mit der Maske dringt in sein Fleisch. Der Boden ist von seinem Blut besudelt. Mit jedem Schnitt rinnt es wärmer an seinem Körper hinunter. Bis er sein Leben aushaucht.
Nur Tage später. Schweden. Göteborg. Und wieder dieses schaurige Szenario. Doch diesmal ist es ein junger englischer Tourist, zu Tode gequält auf die selbe schaurige Art. Die Spuren im Blut deuten darauf hin, dass dieser Mord gefilmt wurde. Gefilmt für diejenigen, denen nur mehr der Anblick des furchtbaren Todes einen Kick geben kann.
Kommissar Erik Winter und sein schwedisches Team ermitteln in Göteborg. Der junge Kriminalist, Starermittler und erfolgsverwöhnt, gekleidet in Designerklamotten, nimmt die Recherchen auf. Er ist unmittelbar betroffen, denn der junge Schwede in London ist das Kind eines seiner Nachbarn. Winter ahnt, dass diese Verbrechen einen Zusammenhang haben. Er weiß, dass er auf einen Fehler warten muss. Er weiß, dass es dazu noch mindestens eine Leiche braucht. Und er bekommt sie.
Die Spur führt nach London. Winter nimmt Kontakt auf mit seinem dortigen Kollegen Macdonald. Und er setzt sich in das nächste Flugzeug, um neue Erkenntnisse zu finden, zu sehen, was er schon in Göteborg nicht sehen wollte. Und auch hier wird Winter unmittelbarer Zeuge des nächsten Mordes.
In der Zwischenzeit bleiben die Kollegen in Göteborg nicht untätig. Besonders einer der jungen Beamten legt sich ins Zeug. Geht in die Klubs, wo die Frauen auf den Tischen tanzen und mit den Gästen in die Hinterzimmer verschwinden, und erwirbt das Vertrauen einer dieser Frauen. Als sie ihm einen Namen nennt, ermittelt er auf eigene Faust und stößt auf den Teufel, weil er dem tanzenden Engel gefolgt ist.
Die Fäden laufen zusammen. Steinchen um Steinchen fügen die Kriminalisten aus Schweden und Großbritannien das Mosaik zu einem Bild, bis aus Ahnungen Zweifel, aus Zweifel Hoffnung und aus Hoffnung traurige Gewissheit wird.
Ake Edwardson, 1953 geboren, war Journalist und für die Uno im Nahen Osten unterwegs. Heute ist er Schriftsteller und Professor für Kreatives Schreiben an der Universität Göteborg. Dass er darüber hinaus freundschaftliche Kontakte in die Göteborger Polizeizentrale hat, merkt man bei diesem Krimi an jeder Ecke, denn wie kein zweiter Krimiautor beschreibt er die Polizeiarbeit und vor allem die Psyche der Polizisten bei ihrem oftmals so grausigen Job.
Edwardsons Sprache ist ungewöhnlich. Seine Sätze sind kurz. Oftmals zu kurz. Dialoge werden mehr angedeutet, als gesprochen. Ein-Wort-Sätze, Zwei-Wort-Antworten, und dazwischen Schweigen. Triste, düstere Tage mit ebenso tristen, düsteren Gedanken. So als würden Nebel über Land und Gehirn gebreitet sein. Zwischendurch fällt ein Sonnenstrahl ein und dann läuft die Handlung wieder für wenige Seiten.
Ich habe mir beim Lesen des Buches besonders auf den ersten fünfzig Seiten unheimlich schwer getan. Manchmal wollte ich das Buch einfach zur Seite legen und vergessen, aber da war dieser Reiz, dieses Wissen wollen, als wäre ich selbst Ermittler. Edwardsons magere Worte verfehlen nicht ihre Wirkung. Vieles bleibt nur angedeutet, manches wird dem Leser bis zum Schluss nicht klar und obwohl der Roman an allen Ecken und Enden hakt, liest man, spürt, wie sich die Kanten glätten und die Handlung plötzlich Gestalt annimmt.
Warum mich dieses Buch gefesselt hat, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es einfach dieses schreiberische Anderssein. Anders als die Krimis, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Irgendwie einfach Edwardson.
Das meinen andere:
»Eine erzdunkle, schnellschnittige, harte Ballade.« (Die Welt)
Erik Winter 02 Die Schattenfrau
Ich lernte Erik Winter in einem Café am Kungsportsplatsen kennen. Er setzte sich zu mir an den Tisch und bestellt einen Café au lait. Meine Neugier war so groß, dass ich ihn ansprach, denn sein Erscheinungsbild hatte sich doch sehr verändert. Als ich ihn früher ein paarmal in der Stadt gesehen hatte, war er immer ausgezeichnet und korrekt gekleidet gewesen. Ich habe ihn nie anders als im Anzug gesehen und nun trug er Shorts und ein T-Shirt mit der Aufschrift »London Calling«. Es ist zwar brütend heiß hier in Göteborg, aber dieses neue Outfit paßt so gar nicht zu ihm. Außerdem hat er seine Haare wachsen lassen. Er gefällt mir ganz gut, dieser Kriminalkommissar. Allerdings scheint ihn etwas zu beschäftigen und er ist nicht mehr derselbe, seit er mit einem englischen Kollegen an einem Fall zusammengearbeitet hat.
Ich fragte ihn, wie es seiner Freundin Angela geht. »Arbeitet sie immer noch im Krankenhaus?« Er runzelte die Stirn und nickte. »Wir haben in letzter Zeit ein paar Schwierigkeiten in unserer Beziehung. Ich habe das Gefühl, sie setzt mir die Pistole auf die Brust mit ihrer Forderung zusammenzuziehen. Das wird mir alles zu eng. Außerdem macht mir mein Vater Gedanken. Er ist ja vor einiger Zeit mit meiner Mutter nach Marbella gezogen. Ich habe schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen, ich will die Details unserer Schwierigkeiten auch nicht hier ausbreiten, aber meine Mutter möchte gerne, dass ich die beiden besuchen komme. Das kann ich nicht. Meine Schwester hat noch mehr Kontakt zu den beiden, ich sollte sie demnächst mal besuchen. Sie lebt noch in unserem Elternhaus und wird in den nächsten Tagen ihren 40. Geburtstag feiern.«
Ich wunderte mich, dass er mir so freimütig über sein Privatleben Auskunft gab, denn ansonsten war er doch als eine sehr verschlossene Person bekannt. Wahrscheinlich, weil sich bei mir sicher war, dass ich seine Geheimnisse nicht ausplaudern würde. Ich fragte ihn nach seiner Schwester. »Sie war doch mal mit einem recht zwielichtigen Typen verheiratet, oder?« »Ja, aber sie hat keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe in letztens besucht, weil ich etwas aus ihm herauskriegen wollte. Er kennt sich im Milieu gut aus und hat auch viele Kontakte. Das wäre doch sehr hilfreich für meinen neuen Fall gewesen. Leider bin ich ein bißchen ausgerastet als ich bei ihm war, aber er bringt mich mit seinem Getue einfach zur Weißglut. Abgesehen davon habe ich ihm nicht abgenommen, dass er nichts über die Frau herauskriegen konnte.«
Das interessierte mich doch sehr, er hatte einen neuen Fall erwähnt. Wie sollte ich ihn dazu bringen, mir davon zu erzählen? Ich tastete mich vorsichtig vor. »Ist nicht vor ein paar Tagen die Leiche einer Frau auf einem Parkplatz gefunden worden?« Er schaute mich an. »Ihnen kann ich es ja sagen. Wir konnten sie leider bisher noch nicht identifizieren. Wenn wir nach 24 Stunden noch keinen Namen vorliegen haben, stehen die Chancen wirklich schlecht, dass wir den Fall aufklären. Ich habe sie Helene getauft, weil mich das Zeichen an dem Baum neben ihrer Leiche an ein H erinnert hat und mir der Name einfach in den Sinn kam. Sie wurde auch nicht vermißt gemeldet. Wie kann ein Mensch einfach verschwinden und niemand ist auf der Suche nach ihm? Tragischerweise hat sich bei der Obduktion herausgestellt, dass sie ein Kind geboren hat. Wir wissen allerdings nicht, wie alt dieses Kind ist, aber wir haben es bisher ebenfalls noch nicht gefunden. Da ist also ein kleines Kind ohne seine Mutter irgendwo da draußen und wir können nichts tun, außer die Spuren akribisch zu verfolgen. Zufällig wurde in der Nacht des Mordes eine Verkehrsüberwachung mit einer neuen Kamera ausprobiert und wir haben das Video. Vom Parkplatz ist um die mutmaßliche Tatzeit ein weißer Ford Escort mit Baujahr nach 1991 gefahren. Wissen Sie, wieviele weiße Ford Escorts es alleine hier in der Gegend gibt?«
Er schaute mich traurig an und erzählte weiter. »Meine Kollegen müssen jetzt die ganzen Besitzer abklappern und sie befragen, aber bisher ist nichts dabei herausgekommen. Außerdem ist meine Kollegin zusammengeschlagen worden, als sie außer Dienst auf einem Fest war. Sie ist schwarz, aber sie ist genauso Schwedin wie sie und ich. Wir hoffen, dass wir die Täter bald finden. Im Moment ist hier eine ziemliche Aufruhr. Haben Sie in der Zeitung gelesen, dass es eine Schießerei in der Stadt gegeben hat? Irgendwelche Motorad-Gangs sind dafür verantwortlich und ein Kollege von mir wurde verletzt.«
Erik Winter schien sich den Fall sehr zu Herzen zu nehmen. Plötzlich stellte er mir eine ganz andere Frage. »Haben Sie eigentlich schon mal von der Gruppe ´The Clash´ gehört? Bisher war ich ja reiner Jazz-Liebhaber, aber mein englischer Kollege hat mir eine CD geschickt, wovon ich jedoch bisher nur den ersten Titel gehört habe. Naja, ist ja auch egal. In meinem Leben haben sich Veränderungen ergeben.« Mit der Vehemenz dieser Aussage überraschte er mich. Ich war sehr froh, dass ich ihn im Café angesprochen hatte, da er eine sehr interessante Person ist, auch wenn ich jetzt nur ein wenig über ihn erfahren habe. Wir plauderten noch eine Weile über das Wetter und verabschiedeten uns dann herzlich, nicht ohne ein nächstes Treffen zu verabreden, da ich ihn sehr gerne wiedersehen würde.
Meinem Treffen mit dem sympathischen Kommissar ist eigentlich bezüglich des Falles nur noch wenig hinzuzufügen. Er und seine Kollegen haben den entscheidenden Hinweis von einer alten Frau aus einem Wohngebiet erhalten, die sich gewundert hatte, dass eine Mutter und ein kleines Mädchen nicht mehr auf den Spielplatz gekommen sind. Die tote Frau wird als Helene Andersen identifiziert. Was für eine Überraschung, dass Erik Winter mit seiner Namensgebung ins Schwarze getroffen hatte. Winter beschäftigt sich intensiv mit den Kinderzeichnungen, die er in der verlassenen Wohnung Helenes gefunden hat. Außerdem wird ein Zettel in einem Kinderkleid gefunden. Ist dies ein Hinweis, der mit dem Mord zusammenhängt?
Erik Winter kommt mir vor wie ein alter Bekannter, was vielleicht daran liegt, dass der Erzählstil von Edwardson dem Mankells ähnelt. Beide Autoren verpacken geschickt ihre Gesellschaftskritik und die Entwicklung der schwedischen Gesellschaft in ihren Geschichten. Die Hauptfiguren haben jedoch nur zwei Dinge miteinander gemeinsam: die Probleme in ihrem Privatleben und die Zeichen der Erschöpfung angesichts ihres Berufes. Erik Winter ist jünger als Wallander und trägt (meist) Designer-Anzüge. Noch mehr Aufschluß über seine Person erhält man sicherlich im ersten Band.
Effekthascherei wird in diesem Buch nicht betrieben: Edwardson kommt im Gegensatz zu anderen Autoren mit nur einer Leiche aus, deren Ermordung wir nicht beiwohnen (müssen). Viel wichtiger sind die Entwicklung der Personen und die Hintergründe der Geschichte. Die Sprache des Romans ist knapp und nicht blumig, dennoch kann sich der Autor auch einmal eine halbe Seite bei der Beschreibung eines Traumes oder der Landschaft aufhalten.
Åke Edwardson hat ein Gespür für Dramatik, denn bis zur Mitte des Buches plätschert die Geschichte dahin, bis dahin wechselt er auch immer wieder die Erzählebenen mittels kleiner Einschübe, verbleibt jedoch zu 95% bei seinem Protagonisten und dessen Sicht der Dinge. Es vergeht doch allerhand Zeit, bis die Ermittlungen richtig in Gang kommen. Seine Beschreibung kam mir zunächst sogar ein bißchen langweilig vor, aber dann kam in der Mitte des Buches der Knall. Ich begriff! Leider oder gottseidank nur soviel, dass jetzt die Spannung rapide zunimmt.
Fazit: 92° für Åke Edwardsons netten Kommissar, der sicherlich noch mehr kann, wir müssen ihn vielleicht auch erst noch näher kennenlernen (und ich bin schon gespannt darauf).
Das meinen andere:
»Eine fast schon zu langsame Elegie in Sepia« (Die Welt)
»Mit ´Die Schattenfrau´hat sich Ake Edwardson endgültig als einer der größten Kriminalautoren unseres Landes etabliert. Einfach meisterhaft.« (Motala Tidning)
Erik Winter 03 Das vertauschte Gesicht
Der Roman beginnt zunächst sehr privat. Angela, die Freundin des Kommissars Erik Winter ist schwanger und bereitet sich gerade auf ihren Umzug in die Wohnung ihres Lebensgefährten vor. Da bekommt Winter einen Anruf von seiner Mutter aus Spanien, dem Alterswohnsitz seiner Eltern. Winters Vater hat einen Herzinfarkt erlitten und ringt im Krankenhaus mit dem Tod. Winter fliegt sofort nach Spanien, wo er die nächsten paar Tage größtenteils in der Klinik verbringt.
Derweil haben sich seine Kollegen bei der Polizei in Göteborg vorwiegend mit Kleinkram zu beschäftigen, bis sie von einem Hausmeister eines Hauses in unmittelbarer Nachbarschaft von Winters Wohnung benachrichtigt werden. Einem Zeitungsjungen war aufgefallen, dass sich vor einer Wohnung dieses Hauses bereits die Zeitungen stapeln. Doch hört man aus der Wohnung seit Tagen ständig die gleiche laute furchtbare Musik, wie sich später herausstellt Black Metal. Aus dem Briefkastenschlitz dringt ein schrecklicher Gestank.
Nachdem der Hausmeister im Beisein der Polizei die Tür öffnet, findet man ein grauenvolles Szenario vor. Auf dem Sofa sitzt ein nacktes Paar, die Hände fest umschlungen und schauen sich an. Eine dunkle Kruste verläuft rings um ihre Hälse. Das Ganze wirkt irgendwie skurril, bis man feststellt, dass die Köpfe der beiden Toten vertauscht wurden. An der Wand findet sich mit roter Farbe ein eingekreistes W und dahinter die Buchstaben ALL.
Die Ermittlungen der Polizei gestalten sich schwierig. Die Ermordeten, das Ehepaar Valker, lebten sehr zurückgezogen, flirteten jedoch beide gerne mit Personen vom anderen Geschlecht. Freunde oder Bekannte hatten sie jedoch fast nicht. So verfolgen die Ermittler zunächst, welche Bedeutung die Musik haben könnte. Zunächst findet sich niemand, der die Gruppe kennt, dann stellt sich heraus, dass es sich um Black Metal aus Kanada handelt. Doch auch dies bringt die Polizei nicht so recht weiter.
»Das vertauschte Gesicht« ist wieder ein typischer schwedischer Kriminalroman. Doch nicht nur das, er ist einfach »zu« typisch. Wüsste man nicht, dass der Autor des Buches Edwardson heißt, könnte man vermuten, einen frühen Mankell in den Händen zu halten. Sowohl die einfache und direkte Sprache als auch die melancholische Stimmung des Romans erinnern an das Aushängeschild der schwedischen Kriminalliteratur.
Das Buch beginnt mit fünf Handlungssträngen nebeneinander. Da ist zum einen Erik Winter bei seinen Eltern in Spanien, dann seine Freundin in Göteborg, die beiden Streifenpolizisten Morelius und Bartram während ihres Dienstes, dann die Polizeipsychologin Hanne Östergaard, die Probleme mit ihrer Tochter Maria hat sowie der Polizist Bergenhem, ebenfalls mit Problemen mit seiner Familie. Und dann ist da sogar noch ein sechster Handlungsstrang, sehr abstrakt geschildert, so daß man den Eindruck bekommt, es hier mit dem psychisch gestörten Mörder zu tun zu haben. Später kommen weitere Nebenstränge hinzu oder die bereits bestehenden teilen sich noch weiter auf. Im Prinzip verlaufen alle diese Stränge über den gesamten Roman hin parallel, berühren oder kreuzen sich hin und wieder, ohne jedoch, wie in den meisten Fällen, auf einen bestimmten Punkt aufeinander zu zu laufen.
Und diese ganzen unterschiedlichen Handlungen wechseln in oft sehr kurzen Szenen, manchmal nur über ein paar Absätze, miteinander ab, so daß der Roman insgesamt einen sehr hektischen und unaufgeräumten Eindruck macht. Dabei wirken manche Szenenwechsel sehr uninspiriert und chronologisch unlogisch. So wird z.B. die Schilderung des Dienstes der Streifenpolizisten nur kurz unterbrochen, um den Telefonanruf von Winters Mutter in der Nacht sowie Winters Abflug am nächsten Morgen zu schildern.
Durch die verschiedenen Perspektiven, aus denen das Geschehen erzählt wird, ist der Leser den Ermittlern immer ein wenig voraus. Der Schreibstil Edwardsons ist, wie bereits erwähnt, sachlich nüchtern und sehr einfach. Doch wirken manchen Sätze sprachlich etwas verdreht, so daß man den Eindruck bekommt, die Übersetzerin hätte schlechte Arbeit geleistet.
Der Kriminalroman beginnt erst, nachdem bereits ein Viertel des Buches vorüber ist. Der erste Teil bleibt fast vollkommen dem Privatleben von Kommissar Erik Winter vorbehalten, was natürlich bei Romanen mit einem Serienhelden statthaft ist, doch den einen oder anderen Leser bis dahin schon verprellt haben könnte.
Gesellschaftskritik ist ein zentraler Bestandteil in allen schwedischen Krimis. Sehr gut eingefangen sind die Zustände in Schwedens zweitgrößter Stadt Göteborg. Die hektische Betriebsamkeit in der nächtlichen Stadt mit ihren kleinen und großen Verbrechen kommt sehr gut rüber. Auf der Vergnügungsstraße Avenyn treiben sich jeden Abend die Jugendlichen herum. Alkohol und Drogen sind dort allgegenwärtig, die Stimmung ist sehr gereizt und aggressiv. Arbeitslosigkeit sorgt dafür, dass die Verbrechensrate ansteigt, der Alkoholkonsum und die Pornografie anwächst und Gewalt der Eltern gegen ihre Kinder sich verstärkt. Die Polizisten werden mit all diesen Dingen konfrontiert und stehen doch meist hilflos gegenüber, haben sie doch zumeist mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. All dies hat Edwardsson gerade durch seine hektische Schreibweise besser eingefangen als manch anderer seiner schreibenden Landsleute.
Überhaupt sehr realistisch wirkt die Polizeiarbeit, wie sie Edwardsson schildert. Da geht es nicht nur um einen spektakulären Fall, sondern seine »Helden« kämpfen an vielen Fronten, vor allem an ihren eigenen. Sämtliche vorkommenden Personen wirken überaus glaubhaft und sind hervorragend dargestellt, was Edwardson vor allem dadurch erreicht, dass er oft die Gedanken der Charaktere schildert. Hier zeigt sich die journalistische Ausbildung des Schriftstellers. Bis ins Detail genau hervorragend recherchiert erzählt der Autor den typischen Polizeialltag.
Doch mit dem Spannungsaufbau, einem sehr wichtigen Faktor für einen guten Kriminalroman, tut sich der Autor zuweilen schwer. In der Theorie nutzt er alle literarischen Elemente, die ein spannender Krimi braucht, doch drängt er dem Leser geradezu einen Verdächtigen so sehr auf, dass man schon frühzeitig glaubt, Bescheid zu wissen. Kurz vor Schluß erst kommen dem Leser dann doch Zweifel an der Identität des Mörders, da Edwardson plötzlich umschwenkt und den Verdacht auf eine andere Person lenkt. Dies mag manch einer als positive Idee hervorheben, für mich wirkte es jedoch ziemlich plump, auch wenn man nicht weiß, ist die Lösung jetzt wirklich so einfach oder ist es doch ganz anders?
Das Ende enttäuscht absolut. Zu viele Fragen bleiben offen, zu viele Handlungsstränge verlaufen im Sande. Fakten und Motive bleiben ungeklärt. Wieder eines der vielen Bücher, bei denen man den Eindruck hat, am Ende hat der Autor keine Zeit mehr gehabt. Edwardson schildert das Geschehen, ohne Erklärungen zu liefern und lässt den Leser unbefriedigt zurück.
Es ist schwierig für mich, hier ein eindeutiges Fazit ziehen zu können. Zu sehr beeinflußt bin ich bereits von Romanen anderer schwedischer Kriminalautoren. Wer in diesem Genre noch nicht so belesen ist, dem wird Åke Edwardson sicherlich neue Eindrücke und einen interessanten Schreibstil vermitteln können. Für mich wirkt hier zu viel kopiert und nachgeahmt. Durch ein wenig mehr persönliche Note bieten sich Autor und Protagonist noch gute Entwicklungsmöglichkeiten. Dem »vertauschten Gesicht« jedoch kann ich nicht mehr als knappen Durchschnitt bescheinigen.
Das meinen andere:
»Ein hämmerndes Death-Metal-Stück« (Die Welt)
Erik Winter 04 In alle Ewigkeit
Es ist Hochsommer in Göteborg, sengende Hitze treibt die Schweden in die Schären und die Cafés. Kommissar Winter wohnt mit Angela und seiner kleinen Tochter Elsa zusammen. Nichts deutet darauf hin, dass die Schönwetterlage umkippt. Doch eine Reihe von Morden und Vergewaltigungen schreckt Göteborg auf. Haben die Opfer etwas gemeinsam? Wen ja, was? Liegt die Lösung in einem ungeklärten Fall von vor ein paar Jahren? Und was brabbelt der Mörder, bevor er seine Opfer mit einer Leine erwürgt? Ein Reim? Oder ist es nur ein bestialisches Grunzen?
Edwardsons vierter Winter-Krimi ist raffiniert und nach strenger Logik aufgebaut, psychologlisch wie gewohnt erstklassig und auch seine Figuren gewinnen an Schärfe. »Liebelt« es zwischen der schwarzen Aneta und dem bärbeißigen Halders, der einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen muss? Wie kommt Winter mit seiner neuen Rolle als Familienvater klar? Schafft er es, mit dem Rauchen aufzuhören, nur weil seine verehrten »Corps« an keinem Kiosk der Stadt mehr aufzutreiben sind?
»In alle Ewigkeit« ist, obwohl der Plot irgendwie sehr bekannt vorkommt, ein spannender, atmosphärischer Krimi, der wieder Lust auf mehr Ake Edwardson macht. Höhepunkt der Handlung zwischen Privatschule, schwarzen Porno-Clubs und der Idylle der schwedischen Schären: die Aufnahme des Mordes auf dem Anrufbeantworter des Opfers. Schauer trotz schwedischer Sommerschwüle garantiert!
Das meinen andere:
»`In alle Ewigkeit`ist ein Kriminalroman wie eine warme, grausame Sommernacht. Eine blutige, tieftraurige Elegie. Eine Studie allumfassender Einsamkeit.« (Die Welt)
Erik Winter 05 Der Himmel auf Erden
Kommissar Erik Winter, einer der jüngsten in ganz Schweden, kommt aus dem Erziehungsurlaub zurück in den Dienst. Töchterchen Elsa geht es gut, Freundin Angela ist zufrieden. Winter auch. Bis der Job in wieder voll vereinnahmt. In Göteborg wecken vier Fast-Morde die Aufmerksamkeit der Polizei. Vier Studenten wurden nachts auf ihrem Nachhauseweg zusammengeschlagen. Keiner hat den Täter gesehen, nichtmal kommen gehört. Aber alle haben einen Schlag mit einem harten Gegenstand auf den Hinterkopf bekommen. Lebensgefährlich, doch für keinen der vier jungen Männer tötlich. Allerdings: Sie sind gezeichnet. Mit einem Kreuz, den der Schlag auf ihren Köpfen hinterlassen hat.
Gleichzeit geschehen Fast-Verbrechen: Mehrere Eltern erstatten Anzeige, dass ihr Kind von einem »Onkel« mitgenommen wurde. Ihnen fehlt jedoch nichts, weswegen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Vierjährigen bei Eltern und Polizisten aufkommen. Bis schließlich ein Kind schwer verletzt aufgefunden wird. Auch es berichtet von diesem Onkel, der es mit Bonbons gelockt und mit dem Auto vom Kindergarten abgeholt hat. Die Göteborger Kriminalisten um Kommissar Erik Winter sind in diesem Fall genau so ratlos wie bei den Studenten.
Eine heiße Spur hinauf aufs Land
Der Hinweis des zuletzt betroffenen Studenten, dass es sich bei der Tatwaffe wohlmöglich um ein Brandeisen gehandelt hat, erweist sich als heiße Spur hinaufs aufs Land. Dorthin, wo die Felder und der Himmel endlos scheinen. Dorthin, wo sich eine schreckliche Familientragödie mit grauenvollen Konsequenzen abgespielt hat. Dorthin, wo die Fäden der zwei Fälle zusammenlaufen …
Ich habe »Der Himmel auf Erden« – wie übrigens Edwardsons Erstling Tanz mit dem Engel – in einem Stück durchgelesen. Das will was heißen, für andere Bücher brauche ich Wochen. Aber Edwardson hat einen unglaublich süchtig machenden Stil. Kurze Kapitel, treffende Sätze. Perspektivwechsel. Der Wissensvorsprung des Lesers. Nervenkitzel, der ohne bluttriefende Sätze auskommt. Und dazu ein Spannungsbogen, der es unmöglich macht, sich um irgendetwas anderes zu kümmern, als dieses Buch zu lesen. Zu verschlingen. Die Atmosphäre aufzunehmen. Und zu verstehen.
Nichts wirkt geschustert, erzwungen und aufgedrängt
Denn: Nichts, aber auch gar nichts in »Der Himmel auf Erden« wirkt geschustert, erzwungen, aufgedrängt. Im Gegenteil: Der Titel hängt zusammen mit den im Buch oft zitierten U2-Songs (heaven is a place on earth ), die ihrerseits mit der Hoffnung der Ermittler auf eine bessere Welt, die der Mörder wiederum nur im Himmel zu finden glaubt und wo er schlussendlich auch landet – gar nicht mal ausschließlich symbolisch gemeint.
Sogar die beiden Handlungsstränge der Verbrechen an den Studenten und der Kidnappings, so unterschiedlich und unzusammenhängend sie anfangs auch wirken, verknüpft Edwards zu einem logischen wie tiefdunklen Netz, das kleine Einblicke in die abgrundtiefe Psyche der Menschen bietet.
Das gesellschaftskritische Thema: Väter und ihre Kinder
Natürlich darf in einem skandinavischen Krimi dabei eine gewisse Portion Gesellschaftskritik nicht fehlen. Tatsächlich entdeckt der aufmerksame Leser, dass sich ein Thema parallel zur eigentlichen Handlung über alle gut 460 Seiten erstreckt: Die Beziehung zwischen Vätern und ihren Kindern. Erkennt man dies, bekommt jede Bemerkung Erik Winters, die Randepisode um seinen Kollegen Bertil Ringmar, den sein Sohn jahrelang nicht sprechen wollte, ja sogar die Motive hinter den Verbrechen einen zusätzlichen, nachdenklich stimmenden Sinn.
Dazu gelingt es Edwardson glücklicherweise, seinen in den ersten Romanen noch recht trockenen, fast eindimensional geschilderten Figuren, Leben einzuhauchen. Vom streng analytischen Snob Erik Winter sind nur seine gute Kleidung und die Zigarillos übrig geblieben. Er ist ein sympatischer Familienmensch geworden, der Gefühle zeigt. Der weint. Wenn auch nur mit ordentlich Whisky und hinter der Sonnenbrille. Sein grimmiger Kollege Halders wirkt trotz seiner großen Schnauze verletztlich und dadurch insgesamt schon beinahe liebenswert. Der ansonsten blasse Kollege Bertil Ringmar wird zu Winters bestem Freund. Es menschelt endlich auch bei Edwardson.
Edwardson ist aus dem Schatten Mankells herausgetreten
Fasst man diese Punkte zusammen, muss man konstatieren, dass es Ake Edwardson geschafft hat, aus dem Schatten Henning Mankells heraus zu treten. Alle Wallander-Fans, die ihren Kommissar vermissen, dürfen aufatmen. Erik Winter ist nun nach seinem 5. Fall ein mehr als würdiger Nachfolger. Keine Frage: »Der Himmel auf Erden« ist Edwardsons bisher bester Roman. Ganz starke Kriminalliteratur. That´s what I like.
Erik Winter 06 Segel aus Stein
Nach dem fulminanten Himmel auf Erden durfte man auf den neuen Krimi mit der Ermittlertruppe um Kommissar Erik Winter aus Göteborg gespannt sein: Gelingt es Ake Edwardson, Henning Mankell vom Thron der zeitgenössischen skandinavischen Krimi-Autoren zu verdrängen? Schafft Edwardson es, seine Figuren weiterzuentwickeln und dies mit einem spannenden Plot zu kombinieren? Wird man den Autor jetzt, mit dem sechsten Winter-Roman, ebenfalls in einem Atemzug mit Sjöwall / Wahlöö nennen? Nun, der Schwede bleibt seiner Linie treu. Und leider nur insofern, dass seine Krimi-Reihe auch weiterhin einer Achterbahnfahrt aus spannend geschriebenen Thrillern und langweiligen Marathon-Psychogrammen ähnelt. »Segel aus Stein« gehört leider zur letzteren Sorte.
Zwei Handlungsstränge führt Edwardson recht schnell ein: Zum einen verschwindet Axel Osvald, Vater von Johanna Osvald, einer »Verblichenen« unseres Kommissars, spurlos in den schottischen Highlands. Ein anonym an ihn addressierter Brief, der besagte, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen, genügte, um Hals über Kopf in den Norden der britischen Insel zu reisen. Diese Nachricht bezog sich vor allem auf den als ertrunken geglaubten Vater Osvalds, der – dessen ist man sich in Göteborg sicher – zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zusammen mit der Mannschaft der »Marino« vor Island untergegangen ist. Zum anderen gehen Erik Winters Kollegen Aneta Djanali und Halders einer vermeintlichen Misshandlung nach, wo die Dinge eigentlich das zu sein scheinen, was sie vorgeben. Doch die potenziell Misshandelte ist für die Polizei nicht zu sprechen. Und so fehlt auch hier jeder rationale Ansatz für ein Verbrechen.
Genau deswegen herrscht auf den ersten der gut 500 Seiten von Segel aus Stein auch in jeder Hinsicht Flaute, um im maritimen Bild von »Segel aus Stein« zu bleiben. Djanali und Halders versuchen einem Verbrechen auf die Spur zu kommen, dass keiner gesehen haben will. Winter versucht ein Verbrechen aufzudecken, das wohlmöglich nie geschehen ist. Und das über 250 Seiten!
250 Seiten viel Geplänkel, 250 Seiten tiefe Einblicke in die Psyche von Aneta Djanali, die sich nach Afrika sehnt, obwohl die schwarze Polizistin in Schweden geboren ist. 250 Seiten Momentaufnahme der Gedankenwelt des jüngsten Kommissars Schweden, wie für diesen die Polizeiarbeit weniger wichtig und wie der Snob und Karrierist Erik Winter zum mehr oder minder spießigen Familienmenschen wird, der davon träumt, mit seiner Frau Angela und Töchterchen Elsa an der Küste ein Haus zu bauen.
Relevant ist das alles – und damit ist nichts vorweggenommen – für den weiteren Verlauf der Handlung nicht. Mag sein, dass dies die Grundsteine für weitere Romane dieser Serie darstellen und elementar für das Gesamtkonzept der Winter-Reihe sind – auf jedenfall sind diese 250 Seiten grottenlangweilig und selbst große Fans skandinavischer Kriminalliteratur und auch Anhänger Edwardsons kann kaum verübelt werden, bis dahin das Buch wegzulegen.
Schließlich, nach immerhin der Hälfte des Buches, geschieht doch noch etwas. Axel Osvald wird tot in den Bergen bei Loch Ness aufgefunden. Völlig entkleidet – aber auch hier lässt sich beim besten Willen kein Kriminalfall daraus machen: Spuren von Gewalt suchen die Ermittler an der Leiche vergebens. Da die Sachlage sich aber zum einen recht eigenartig gestaltet und Erik Winter die Chance nur allzu gern ergreift, seinen Freund und Kollegen Steve Macdonald, gebürtiger Schotte, an Ort und Stelle wiederzutreffen, machen sich die beiden auf, Licht ins Dunkel des Untergangs der »Marino« und damit des Verbleibs von John Osvald zu bringen …Sollte der schwedische Fischer gar noch am Leben sein?
Erst – und das ist beinahe unverzeihlich – gewinnt »Segel aus Stein« an Fahrt, als Erik Winter schottischen Boden betrifft. Das Tempo nimmt zu, die Reise durch ehemals belebte Fischerdörfer, durch die Highlands und vor allem durch die Geschichte ist endlich das, was man von Edwardson kennt: Spannende Unterhaltung und diesmal mit dem besonderen, da nicht-skandinavischem, Flair. Hätte der Roman doch direkt damit angefangen! Hätte Edwardson doch auf die Parallelhandlung mit der misshandelten Göteborgerin verzichtet. Hätte, wäre, wenn – hat er nicht und somit »Segel aus Stein« ganz gehörig in viel zu seichte Wasser gesteuert.
Es ist einfach ärgerlich, für 200 sehr gute Seiten Kriminalroman 300 völlig belanglose in Kauf nehmen zu müssen. Denn am Ende muss der ausdauernde Leser leider feststellen, dass das ganze Drumherum, die Parallelhandlung, die Psychogramme von Aneta Djanali, Halders und – völlig überflüssig! – Lars Bergenheim (einem weiteren aus der Ermittlertruppe), nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Verschwinden Axel Osvalds zu tun hat. Da ist der Krimileser von heute mit ausgeklügelten Plots, wo wirklich jeder Faden zusammen läuft, einfach zu verwöhnt, um am Aufbau von »Segel aus Stein« Gefallen finden zu können.
Dazu kommt, dass Ake Edwardson das Einbinden von englischsprachigen Songtexten und Dialogen auf die Spitze treibt. Hier und da ein, zwei englische Sätze mögen den mordernen Anspruch des Autors unterstreichen – ganze Unterhaltungen unübersetzt zu lesen, ist schlichtweg nervig. Und wenn Zitate aus Evergreens aus Rock und Jazz das einzige sind, was den Gefühlszustand einer Person beschreiben kann, muss schon die Frage erlaubt sein, ob der Autor nicht in der Lage ist, Emotionen mit eigenen Worten wiederzugeben.
Unterm Strich bleibt eine der zwei Handungsstränge in Erinnerung, nämlich die Verfolgung eines Phantoms an der Küste Schottlands. Alles andere ist schnell vergessen, was letztendlich dazu führt, dass der Leser für seine Ausdauer zwar mit einem Happyend belohnt wird, dennoch aber arg unbefriedigt die »Segel aus Stein« in den Wind schießt. Ob der Vorgänger ein Ausrutscher nach oben und dieses Buch die wahre Fähigkeit Edwardsons beschreibt, einen guten Krimi abzuliefern oder ob »Segel aus Stein« nur ein misslungenes literarisches Experiment darstellt und Ake Edwardson mit dem sicherlich erscheinenenden Nachfolger zu bereits gezeigter Stärke zurückfindet, wird die Zukunft zeigen. »Segel aus Stein« ist zumindest ein Beleg dafür, wie ein an sich guter Schriftsteller mit einem viel zu aufgeblasenen Roman Schiffbruch erleiden kann.
Erik Winter 07 Zimmer Nr. 10
Über sechs Fälle hatte der Protagonist von Ake Edwardsons Kriminalromanen, Kommissar Erik Winter, fast ein Alleinstellungsmerkmal bei den skandinavischen Ermittlern: Er war jung, erfolgreich, gut aussehend und eben nicht tiefst betrübt. War. Denn mit Zimmer Nr. 10 hat auch Winter diese scheinbar so typische Charaktereigenschaft der Schweden eingeholt. Und strickt Edwardson – dafür ist er be- und anerkannt – wieder einmal einen höchst verworrenen Plot mit intensiven psychologischen Studien, so kann man Kommissar Winter eigentlich nur das wünschen, was er selbst am meisten herbeisehnt: eine Auszeit.
Knackpunkt in Fall Nr. 7 ist eine Frauenleiche in Zimmer Nr. 10. Besagter Raum ist mietbar in einem heruntergekommenen Hotel Göteborgs und war bereits Zentrum von Winters Ermittlungen. Vor achtzehn Jahren verschwand dort eine Frau spurlos. Verbleib ungeklärt. Bis heute. Und jetzt die erhängte Frau im selben Zimmer. Komisch nur: ihre Hand ist weiß angemalt. Ein Fingerzeig des Täters?
Edwardsons Stilspiele
Alles deutet auf einen langwierigen Fall. Keine Zeugen, keine Indizien. Und wie kaum anders zu erwarten liegt des Rätsels Lösung weit in der Vergangenheit. Genau so weit ist der Weg, den der Leser weitgehendst spannungslos hinter sich bringen muss, bevor sich die Ermittlungen tatsächlich auch darin äußern, dass sie den Leser fesseln. Über gut vierhundert Seiten ist Zimmer Nr. 10 eine anspruchsvolle wie auch ansprechende Lektüre. Nur als Krimi will sie lange Zeit nicht funktionieren.
Und sprachlich kompliziert ist sie dazu. Nicht nur, dass Edwardson ohne jeglichen Hinweis zwischen den Zeiten springt (und dazwischen liegen eben immerhin fast zwanzig Jahre), er bemüht auch wie schon in den vorangegangenen Romanen Phrasen, die beim ersten Mal kunstvoll, beim zweiten Mal künstlich und beim dritten, vierten, fünften und auch fünfzehnten Mal katastrophal wirken: »Nein. Ja. Nein. Ja«. Oder variiert: »Ja. Nein. Ja. Nein«. Ein wenig mehr Stringenz und Geradlinigkeit, ein bisschen mehr Klarheit – das alles täte Edwardsons Prosa durchaus gut.
Zum Ende kommt der Drive
Auch wenn Winter »wallandert« und Edwardson ausschweift, schlecht ist Zimmer Nr. 10 keinesfalls. Der Roman überzeugt fraglos durch die Schilderung komplexer menschlicher Beziehungen, einer äußerst trüben wie eindringlichen schwedischen Herbst-Atmosphäre und durch einen verwickelten Plot. Der, und da macht Edwardson richtig Spaß, zum Ende hin sogar mit ordentlich Drive aufgelöst wird.
Aber: Das ist alles nichts Neues mehr. Mit Winter-Romanen wie Der Himmel auf Erden oder auch Die Schattenfrau fährt der Fan skandinavischer Kriminalromane deutlich besser und erfrischter. Zimmer Nr. 10 ist der Krimi für dauerverregnete Sonntage, an dem eh keine positive Stimmung aufkommen will. Dann kann Edwardson seine Karten ausspielen und überzeugt als anspruchsvoller Erfinder von psychologisch dominierten Kriminalromanen. Da aber auch irgendwann mal wieder die Sonne scheinen wird, sollte sich der Schwede schnellstens um mehr Abwechslung in seiner Winter-Reihe kümmern. Bis dahin wünschen wir dem Kommissar einen angenehmen Aufenthalt in Spanien.
Erik Winter 09 Toter Mann
Wer bei Åke Edwardson davon ausgeht, einen stinknormalen Schwedenkrimi zu lesen, ist schief gewickelt. Hier geht nichts stringent ab, hier mixt der Autor munter Perspektive, Zeit und Ort – er haut sie dem Leser gar recht um Ohren. Das ist nicht leicht zu lesen und auch nicht trivial zu verstehen. Auch wenn der neunte Fall für Kommissar Erik Winter aus Göteborg entfernt an Stieg Larssons Verblendung erinnert.
Zu Anfang jedoch gar nicht. Wir haben es in Toter Mann nichtmals mit einem Verbrechen auf den knapp ersten hundert Seiten zu tun. Winters Kollege Lars findet einen abgestellten Wagen im Zentrum Göteborgs mit laufendem Motor. Was zwar in der schwedischen Hafenstadt nicht erlaubt ist, jedoch nicht weiter schwerwiegen sollte. Wären da nicht Kugeln im Futter. Von einer Waffe, einem Schützen oder gar einem Verwundeten fehlt jede Spur.
Szenenwechsel: Irgendwo in Göteborg haust ein Romanautor, der sich mit seinem verschrobenen Nachbarn zickt. So weit, so halb so schlimm. Wäre dieser Autor nicht fest davon überzeugt, dass auf ihn geschossen worden ist. Tatsächlich findet die Kripo dafür Anhaltspunkte.
Doch es soll anders kommen: Nicht der Autor wird umgenietet, sondern der Nachbar. Und ab da beginnt für Erik Winter eine höchst komplexe Spuren-, Motiv und Tätersuche, die schlappe dreißig Jahre in die Vergangenheit führt.
Komplex ist der Ausdruck, der Toter Mann (wie eigentlich auch die anderen jüngeren Werke des Schweden), trefflich beschreibt. Es fällt lange schwer, den roten Faden zu finden. Hier taucht ein Lokalpolitiker auf, der sich im Schwulenmilieu herumtreibt und ebenso schnell spurlos verschwindet. Dort der eigensinnige Schriftsteller; hier in Ganove, mit dem man so gar nichts anzufangen weiß. Und immer wieder: Rückblenden auf ein Ereignis, das nicht ins Bild passen will.
Vergessen wir dabei nicht Erik Winter, den einst jüngsten Kommissar seiner Zunft, der nun arg mit sich zu kämpfen hat (»Der Job. Der Stress.«). Trotz seines Daseins als Familienvater geht es ihm nicht gut, ein Whisky hier, ein Cigarillo dort (»Der Job. Der Stress.«). Ein Mitarbeiter vor seinem Coming-out und Rückzug ins Nirgendwo, ein anderer Kollege mal wieder temporär verlassen von einer temporären Mutter seiner Kinder. Das Bild, dass Edwardson zeichnet, ist düster. Es will auf den ersten Kapiteln eigentlich gar nicht Tag werden, obwohl ein »Indian Summer« den Westen Schwedens in klares Licht taucht.
Glücklicherweise bleibt sich Edwardson dennoch treu und lamentiert nicht, noch lässt er seine Figuren die Schuld großartig an der ach so schlechten Welt suchen. Das Problem sind die Individuen selbst, was der Schwede durch Dialoge nah an der Wortlosigkeit veranschaulicht. Man versteht sich nicht mehr, weder sich selbst, noch sein Gegenüber. »Ich weiß es nicht«, ist die Standardantwort auf jede Frage.
Dass unterm Strich die feinst gestrickte Story am Ende doch in einem stark cineastischen Showdown mündet, ist etwas übertrieben. Aber so tut er dem Leser, der Action sucht, auch noch einen Gefallen. Ohne freilich das böse Verbrechen von vor dreißig Jahren blank zu legen. Dafür haben seine Charaktere auch genug mit sich selbst zu tun.
Winter Nr. neun ist der vorletzte Teil seiner Reihe, der letzte in Schweden bereits erschienen. Seine Romane sind welche für den zweiten Blick. Genau hinzuschauen ist nicht nicht nur erwünscht, sondern dringend erforderlich. Kein Vergleich zu jünglichen Gothik-Freaks auf Serienkillersuche. Sondern sehr durchdacht, klug aufgebaut und irgendwann muss es doch gesagt sein: leider fern vom Mainstream. Aber wer will schon mit dem Strom schwimmen.
Jonathan-Wide 01 Allem, was gestorben war
Göteborg erlebt den heißesten Sommer, so weit man zurück denken kann. Georg Laurelius aber schwitzt nicht mehr. Eine Mörderhand hat ihn mit einem Messer von hinten an eine Parkbank genagelt.
Jonathan Wide war früher mal Polizist. Jetzt fristet er als Privatdetektiv sein Leben. Seit wenigen Monaten geschieden, besteht seine Hauptbeschäftigung darin, sich im Suff zu versenken. Nur wenn er gelegentlich mit seinen Kindern auf den Rummel geht, hält er sich mit dem Alkohol zurück. Aber seine Reaktion ist nicht mehr die allerbeste und deshalb fängt er sich im Stiegenhaus einen Schlag auf den Hinterkopf ein, der ihm eine passable Gehirnerschütterung einbringt. Und eine Warnung, seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten zu stecken.
Ein junger Taxifahrer bringt seinen weiblichen Passagier in die Notfallambulanz, nach dem sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt hat und offensichtlich nach der Einnahme irgendeines Mittels am Abkratzen ist.
Lea Laurelius ruft Jonathan Wide zu Hilfe. Als Wide eintrifft, hat auch sie gerade einen Überfall überstanden, aber sie weiß angeblich nicht, warum. Und gerade als Wide sich mit ihr unterhält, verlangt ihr Mann sie am Telefon zu sprechen. Aber dessen Leiche wurde schon vorher von Kriminalkommissar Sten Ard und seinem Kollegen Ove Boursé begutachtet. Aber davon hat Jonathan Wide keine Ahnung.
Überall in Göteborg nimmt der Rauschgiftmissbrauch überhand. Heroin, Kokain, Crack, alles was man schlucken, schnupfen und spritzen kann überschwemmt Göteborg und irgendwie finden weder die Polizei, noch unser Schnüffler den richtigen Zugang zu all dem, was hier abläuft. Stehen diese Verbrechen in einem Zusammenhang?
Es stellt sich heraus, dass Lea Laurelius Tochter verschwunden ist. Eigentlich sollte sie in Großbritannien bei einer Gastfamilie weilen, aber dort ist sie abgehauen.
Und Sten Ards Kollegin Krista Lagergren verhört eine junge Künstlerin, die darauf hin ebenfalls durch Gewaltanwendung fast das Zeitliche segnet.
Wide beginnt in seiner Vergangenheit zu suchen. Aus Dänemark kommt Rauschgift, aus Dänemark kommen Wides Vorfahren, die unter dem Naziregime nicht gerade den rühmlichsten Eindruck hinterließen und aus Dänemark scheinen auch die Gewalttäter zu kommen, die hinter diesen Verbrechen stecken.
Auch Polizeichef Holte scheint nicht ganz koscher zu sein. Hat er seine Finger in diesem schmutzigen Geschäft.
Åke Edwardson spinnt in seinem neuen Krimi »Allem, was gestorben war« reichlich viele Fäden, die er kräftig verwebt. In der Übersetzung von Angelika Kutsch gewinnt die Handlung durch die Zerlegung in kleine Sequenzen (beim Film würde man es als rasanten Schnitt bezeichnen) deutlich an Spannung, aber diese verflacht zusehends, je weiter sich Jonathan Wide und Sten Ard in den Fall verbeißen. Nicht immer wird klar, worauf Edwardson mit seinen Gedankensprüngen hinaus will.
Die Darstellung von Jonathan Wide ist gelungen. Hier liefert Edwardson ein gutes Bild eines trunksüchtigen Einzelgängers ab, der trocken werden will, dies aber nicht immer schafft und für sein Seelenheil immer wieder ein Glas kippen muss.
Im Gegensatz dazu, wird Kriminalkommissar Ard als alternder Familienmensch präsentiert, der seine liebe Not mit dem eigenen Körper hat und darüber hinaus die ständige Aussichtlosigkeit polizeilichen Tuns in Frage stellt, vor allem, weil er praktisch keinen Schritt weiter kommt, obwohl er seinen Verdächtigen in Untersuchungshaft bringen kann.
Bis zur Hälfte des Buches ist der Krimi absolut stimmig, dann allerdings präsentiert uns Edwardson einige sehr an den Haaren herbei gezogene Spannungselemente, die dazu führen, dass besonders der Schluss des Romans mich nicht befriedigen konnte. Hier wurden zu viele uninteressante Nebeneffekte eingegliedert, die nur im Kontext als plausibel erkannt werden können, aber für die Handlung absolut unerheblich sind und störend wirken. Es wäre besser gewesen, nicht so viele Puzzleteile einzubauen und den Ablauf straffer zu forcieren.
Deutlich merkt man, dass dies Edwardsons Krimidebüt ist. Es kann mit den nachfolgenden Kriminalromanen leider nicht ganz mithalten. Trotzdem gehört »Allem, was gestorben war« noch immer zu den besseren Neuerscheinungen, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Wer Nordlandkrimis mag, in denen Selbsthinterfragung und persönliches Schicksal eine Rolle spielen, sollte durchaus zu diesem Buch greifen, dessen 379 Seiten trotz abflachender Spannung nie langweilig werden.
Jonathan-Wide 02 Geh aus, mein Herz
Bestialische Morde, melancholische Stimmung, Rassismus, brutale Neo-Nazis in Schweden, kindliche Grausamkeit, ein Alkoholiker als Protagonist – geballte negative Zutaten für einen düsteren Schweden-Krimi, der vor Pessimismus nur so strotzt.
Jonathan Wide, geschiedener Ex-Polizist, schlägt sich mehr schlecht als recht als Privatdetektiv durch. Keine zufriedenstellende Aufgabe für ihn, die hauptsächlich darin besteht, untreue Ehepartner zu beschatten. Nichts, was ihn geistig fordert. Kein Wunder deshalb, dass er mehr dem Alkohol zuspricht als es für ihn gut ist. Ausnahmsweise soll er mal eine verschwundene Ehefrau suchen.
Doch sein Auftrag ist beendet, bevor er richtig beginnt. Denn die gesuchte Dame wurde mittlerweile bereits ermordet aufgefunden. Augen, Ohren und Lippen wurden der Leiche abgeschnitten, anschließend wurde sie in eine Decke gehüllt. Zuständig für den Fall ist Wides ehemaliger Kollege Sten Ard. Da die Tote zufällig aus Wides Heimatort stammt, zieht Ard Wide zu den Ermittlungen hinzu. Kurze Zeit später wird eine zweite Leiche gefunden, ebenfalls auf die gleiche Art und Weise zugerichtet. Auch dieser Mann stammt aus dem Heimatort von Wide. Die beiden Toten gingen zwar nicht in die gleiche Schule, doch muß irgendwo in der Vergangenheit eine Verbindung existieren. Dann taucht ein Obdachloser auf, der im Schlaf von einem Unbekannten mit einer Decke zugedeckt wurde. Handelt es sich bei dem mysteriösen Wohltäter um den gesuchten Mörder?
Derweil hat sich Ards Kollegin Kajsa Lagergren mit tätlichen Angriffen von Neo-Nazis auf Geschäfte und Gaststätten von ausländischen Mitbürgern herumzuschlagen. Die beiden Stränge laufen über die gesamte Handlung hinweg parallel und man fragt sich, wo die Zusammenhänge sind.
Selten ist mir in Krimis eine unglaubwürdigere Idee zur Lösungsfindung begegnet. Da taucht irgendwann ein Gesicht vor Wides geistigem Auge auf. Ein Mann, den er irgendwo gesehen zu haben glaubt. Und dann sieht er ein Kinderbild, auf dem er diesen ihm unbekannten Mann wiederzuerkennen glaubt. Ich habe schon Probleme damit, Kinder- und Erwachsenenbilder von mir bekannten Personen richtig zuzuordnen, da erscheint mir dieses Szenario ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Nun, wie auch immer, über mehrmaliges richtiges Raten findet Wide schließlich den Täter. Doch wie man es von Edwardson zuweilen kennt, ist der Schluß ziemlich abrupt und es bleiben am Ende wieder viele Fragen offen. Motive werden nur angerissen, und um die nötigen Schlüsse zu ziehen muß man fast ein besserer Rätselrater sein als Edwardsons Protagonist.
Was ich beim Lesen oftmals als sehr störend empfunden habe, sind die langen Dialoge ohne Zwischensätze wie »sagte X« und ohne namentliche Ansprachen, so daß man gelegentlich gar nicht mehr weiß, wer nun gerade spricht und man dann den gesamten Dialog nochmals zurück verfolgen muß. Andererseits kann Edwardson jedoch gut die Gedanken seiner Charaktere vermitteln.
»Geh aus, mein Herz« ist als Krimi sehr schwach, zeigt aber übertrieben deutlich die Probleme eines Landes auf. Ob solch übertriebener Pessimismus notwendig ist, sei dahingestellt, zumindest bezieht Edwardson damit eindeutig Stellung.
Jonathan-Wide 03 Die Rache des Chamäleons
Peter und Rita Mattéus führen offensichtlich ein zufriedenes Leben. Beide verdienen angemessen Geld in ihren Berufen, sie haben zwei gesunde und brave Mädchen, und scheinbar sind auch die Zukunftsaussichten akzeptabel. Doch plötzlich wird alles anders, denn Peter wird von seiner anscheinend eher dunklen Vergangenheit eingeholt. Von einem anonymen Absender bekommt Peter ein Päckchen zugesandt. Zunächst versucht er zu verdrängen, was das bedeuten könnte, aber dann wird ihm klar, dass er die Schatten der Vergangenheit nicht weit genug hinter sich gelassen hat. Dunkle Erinnerungen kommen zurück, schwere Träume beginnen ihn zu quälen. Und schnell wird ihm bewusst, dass nun auch seine kleine Familie in Gefahr gerät, denn die weiteren Signale die er erhält, sind ziemlich eindeutig. Ihr Haus wird beobachtet, jeder Schritt verfolgt. Und als dann endlich der Kontakt hergestellt ist, wird schnell klar, dass die Situation praktisch ausweglos ist. Peter kann seine Frau die Lage kaum erklären, aber als die beiden gezwungen werden, nach Spanien zu reisen, wird Rita schnell in die Intrigen und politischen Spielchen hineingezogen.
Der Autor schafft es in diesem Roman mühelos, nicht nur seine Protagonisten, sondern auch den Leser heillos zu verwirren. Aus harmlosen Alltagssituationen heraus versucht er, durch die Kontaktaufnahmen der zunächst unbekannten Akteure aus Peters Vergangenheit, so etwas wie Spannung aufzubauen. Aber das gelingt allenfalls in Ansätzen. Edwardson versucht verschiedene Blickwinkel aufzubauen, und streut unkommentiert Vergangenheitserinnerungen ein. Ein roter Faden ist zunächst nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Vielmehr wird das Ganze zum Ehedrama, weil der Protagonist seiner Ehefrau nur flaue Erklärungen für die rätselhaften Ereignisse liefert. Und auch seine »Legende« für die Reise nach Spanien wirkt für Rita – und den Leser – mehr als unglaubwürdig.
Die schier endlosen Dialoge sollen dadurch aufgepeppt werden, dass Peter Fragen seiner Mitmenschen ständig wiederholt. Diese Macke geht seiner Frau gewaltig auf die Nerven, später dann auch seinen »Freunden« aus alten Zeiten, und dem Leser sowieso. Überhaupt sind die ellenlangen Gespräche keinesfalls spannungssteigernd, sondern eher ermüdend. Es wird allenfalls angedeutet, dass Peter einst Kontakte zur baskischen ETA hatte. Wie und ob er in deren Kampf eingebunden war, oder ob er nur ein kleiner Helfer bei Waffen und/oder Drogengeschäften zur Geldbeschaffung war, bleibt stets im Dunkeln. Kann sein, er war ein richtiger Bösewicht. Kann aber auch sein, er ist nur in die ganze Sache »reingestolpert«, weil er sich in eine Baskin verknallt hatte. Unstreitig scheint nur zu sein, dass er zum Verräter wurde – und selbst verraten wurde.
Insgesamt bleibt der Autor bei dem durchaus vielversprechenden Plot zu sehr an der Oberfläche der angerissenen Thematik. Ausländische Mitstreiter in den Reihen der ETA, die Verquickung von Terror-Finanzierung und Drogengeschäften, politische Intrigen, Aussteiger und die Rache der Inhaftierten – daraus hätte man weitaus mehr machen können. Die in den eher wirren Dialogen geschilderten Gedankengänge führen den Leser jedoch nicht an die verschiedenen Probleme heran, sondern zeigen allenfalls mögliche Konflikte auf, ohne sie zu vertiefen.
Das Hin und Her trägt zudem nicht gerade dazu bei, dass der Leser die chronologische Abfolge der Ereignisse wirklich verfolgen kann. Es ist nichts dagegen zu sagen, dass Leser mitdenken sollen – aber sie müssen die Chance dazu bekommen. Und auch die Figuren sind eher mager gezeichnet, allenfalls im leicht dynamisierten Finale wird das anders. Apropos Finale: Verstehen muss man das Ende nicht wirklich. Insgesamt also ein verschenkter Plot, aus dem ein guter Politthriller oder Kriminalroman hätte werden können.